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Poetisches


Ännchen von Tharau (Deutsch)

 Ännchen von Tharau Original Lower-German text by Simon Dach, 1637 High-German by Johann Gottfied Herder Melody - Friedrich Silcher, 1827

Ännchen von Tharau

Ännchen von Tharau ist, die mir gefällt, 
Sie ist mein Leben, mein Gut und mein Geld. 
Ännchen von Tharau hat wieder ihr Herz 
Auf mich gerichtet in Lieb’ und in Schmerz. 
Ännchen von Tharau, mein Reichthum, mein Gut, 
Du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut!

Käm’ alles Wetter gleich auf uns zu schlahn,
Wir sind gesinnet bei einander zu stahn.
Krankheit, Verfolgung, Betrübnis und Pein
Soll unsrer Liebe Verknotigung seyn.
Ännchen von Tharau, mein Licht, meine Sonn,
Mein Leben schließ’ ich um deines herum.

Recht als ein Palmenbaum über sich steigt,
Je mehr ihn Hagel und Regen anficht;
So wird die Lieb’ in uns mächtig und groß
Durch Kreuz, durch Leiden, durch allerlei Noth.
Ännchen von Tharau, mein Reichthum, mein Gut,
Du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut!

Würdest du gleich einmal von mir getrennt,
Lebtest, da wo man die Sonne kaum kennt;
Ich will dir folgen durch Wälder, durch Meer,
Durch Eis, durch Eisen, durch feindliches Heer.
Was ich gebiete, wird von dir gethan,
Was ich verbiete, das läßt du mir stahn.

Was hat die Liebe doch für ein Bestand,
Wo nicht Ein Herz ist, Ein Mund, Eine Hand?
Wo man sich peiniget, zanket und schlägt,
Und gleich den Hunden und katzen beträgt?
Ännchen von Tharau, das woll’n wir nicht thun;
Du bist mein Täubchen, mein Schäfchen, mein Huhn.

Was ich begehre, ist lieb dir und gut;
Ich laß den Rock dir, du läßt mir den Hut!
Dies ist uns Ännchen die süsseste Ruh,
Ein Leib und Seele wird aus Ich und Du.
Dies macht das Leben zum himmlischen Reich,
Durch Zanken wird es der Hölle gleich.


Ännchen von Tharau von Laelia Kaderas Quelle: http://www.eizniedersachsen.de/706.98.html?&no_cache=1&tx_macinabanners_pi1[banneruid]=46

Verstehst Du Platt? Kannst Du vielleicht sogar Platt sprechen? Na, dann probiert es mal mit diesen Zeilen: 

Anke von Tharaw öß, die my geföllt

Se öß mihn Lewen, mihn Goet on mihn Gölt.

Anke von Tharaw heft wedder eer hart

Op my geröchtet ön Löw' on ön Schmart

Anke von Tharaw mihn Rihkdom, min Goet,

Du, mihne Seele, mihn, Fleesch on mihn Bloet.

 

Das floss anno 1637 dem Dichter Simon Dach aus der Feder: in Samländisch, einer ostpreußischen Mundart. Sechszehn weitere Strophen hängte er dieser Strophe noch an. Der Dichter Simon Dach lebte damals in Königsberg an der Ostsee, das heute Kaliningrad heißt und zu Russland gehört. In Plattdeutsch klingen die Worte ganz ähnlich: 

Anke von Tharau is de mi gefällt,

Se is mien Leben, mien Goht un mien Geld

Anke von Tharau hett wedder ehr Hart

Op mi gerichtet in Lev un in Schmart.

Anke von Tharau, mien Rieckdom, mien Goht,

Du miene Seele, mien Fleesch un mien Blot.


Ännchen gab es also wirklich. Und Tharau auch. Heute heißt der Ort russisch Vladimorovo. Wenn Du mit dem Finger auf der Landkarte die lange Hauptstraße von Kaliningrad in Richtung Süden entlang fährst und bei Nivenskoe (früher: Willenberg) ankommst, bist Du schon ganz nah dran. Jetzt noch vier Kilometer nach Südwesten, dann bist Du da. In Wirklichkeit würdest Du jetzt vor der verfallenen Ruine einer alten Backsteinkirche stehen. Es ist die Kirche, in der Ännchen vor knapp 400 Jahren 9 getauft wurde. Ihr Vater war hier Prediger, und gleich neben der Kirche im Pfarrhaus kam die kleine Anna zur Welt. Anna Neander führte 36 Jahre lang ein redliches Leben als Pfarrersfrau in Laukischken, dem heutigen Strankoe. Als ihr erster Mann Johannes Portatius starb, heiratete sie den Pfarrer, der die Gemeinde von nun an betreute. Doch lebte sie länger als er und heiratete zum dritten Mal einen Pfarrer. Auch der predigte in der gleichen Kirche.

Das Lied machte Ännchen berühmt. Vor dem Theater im litauischen Memel steht sogar eine Figur von ihr. Eine Nachbildung allerdings, denn das Original wurde im Zweiten Weltkrieg entweder zerstört oder gestohlen. Wer weiß? Auf jeden Fall ist die echte Figur am SimonDach-Brunnen verschwunden. Simon-Dach-Brunnen in Memel? Aber der Schöpfer von "Anke von Tharaw" lebte doch in Königsberg! Stimmt. Aber er wurde 1605 in Memel geboren. Ein schönes kleines Städtchen war das zu Simon Dachs Lebzeiten, eine Hochburg für feinsinnige Künste. Bis nach dem Ersten Weltkrieg war die Hansestadt deutsch, und so sieht sie heute noch aus mit ihren vielen Fachwerkhäusern. Nach dem Ersten Weltkrieg einigten sich die Sieger im so genannten Versailler Vertrag auf neue Grenzen; dabei wurde das Memelland abgetrennt. Die Litauer nahmen das Land ein. Durch Hitler wurde die Gegend noch einmal deutsch, nach dem Zweiten Weltkrieg aber gehörte Memel zur litauischen Sowjetrepublik. Die Stadt bekam ihren ursprünglichen Namen wieder: Klaipeda - benannt nach der 2000 Jahre alten Burg Klaipeda. Ausländer Durften die sowjetische Stadt lange Jahrzehnte nicht betreten. Erst als sich 1990 mit der Wende in Europa viel veränderte, wurde auch das anders: Die frühere litauische Sowjetrepublik wurde ein selbstständiger Staat, Litauen. Jetzt kann jeder frei nach Klaipeda reisen.